Gegenstand Kleine Winterkugel

Das Wetter wurde unangenehmer und immer kälter, blütenweißer Schnee fiel vom Himmel und schmolz in euren Händen - und nicht nur dort. Auch auf eurer kalten Kleidung und euren fast steif gefrorenen Nasen setzte er sich ab und ließ euch in kühlem Glanz zurück. Es war nicht so, dass ihr den Schnee oder den Winter nicht mochtet. Es war nur so, dass ihr den abrupten Wetterumschwung nicht leiden konntet. Vor kurzem war es noch angenehm warm, und auf einmal stapftet ihr durch die klirrende Kälte, als wäre sie über euch hergefallen wie ein verhungerndes Raubtier. Und als wäre das alles noch nicht genug - nein - obendrein war es noch Nacht, und jede Minute, jede Sekunde wurde kälter als die vorhergehende.
Dementsprechend fiel eure Stimmung wie die Temperatur, als ihr durch die düsteren, vereisten Straßen der Stadt wandertet, auf der Suche nach etwas Wärme. Entfernt vernahmt ihr ein leises Stöhnen aus der Gasse vor euch. Ihr überlegtet kurz, ob ihr nicht einfach weitergehen solltet. In dieser kalten Nacht war es wohl euer geringstes Problem, wenn ihr hier irgendjemanden liegen ließet, aber eure Ehre - die euch bisher nur Ärger bereitet hatte - gebot es euch nicht.
Widerwillig, um euren Titel als "Helden" nicht zu verlieren, wenn ihr bei dieser Eiseskälte jemanden ohne Hilfeleistung hier draußen ließet, denn das Stöhnen, welches gerade wieder ertönte, klang nicht so, als wäre derjenige fähig, sich großartig zu bewegen, gingt ihr vor. Mit langsamen Schritten tratet ihr in den gähnend schwarzen Schlund der Gasse, nur um ein paar Meter weiter einen Stapel großer Kisten zu sehen, aus dem das Stöhnen drang. Ihr brauchtet nicht wirklich die Quelle des Lautes zu suchen, denn ein großer, dicker Mann lag in dem Stapel, als wäre er vom Dach dort hineingefallen.
Seiner Kleidung nach hätte er ein Gaukler sein können: Gänzlich in Rot, mit weißen Rändern, war er gekleidet, doch sein langer weißer Bart und seine Statur ließen euch an seiner Tätigkeit zweifeln. Die Frage, was er hier überhaupt mache, behieltet ihr für euch, denn der Gestank nach Alkohol füllte die gesamte Gasse. Der Mann schien bemerkt zu haben, dass er nicht mehr alleine in der Gasse war, und sprach euch an.
"Helf' mir", brachte er lallend hervor, "ich schdeck' fesd." Es interessierte euch nicht einmal, wieso er dort lag, es war euch im Grunde egal, ihr wolltet nur schnell ins Warme, und dazu musstet ihr diesen betrunkenen Alten aus dem Stapel ziehen - euer Ruf zwang euch dazu.
Nach einigem Ziehen und Drücken, Ächzen und Stöhnen und letztendlich mit viel roher Gewalt schafftet ihr es endlich, ihn zu befreien.
Wankend stand er auf und streifte sich den Dreck von der Kleidung ab - wobei er den Schmutz nur weiter verteilte.
"Verfluchde Rehndire", schimpfte er. "Ham mich einfach so", ein Schluckauf unterbrach seinen Satz kurz, "einfach so vom Schliddn 'eworf'n. Nur weil'sch 'n bisschen in's Glas 'eschaut hab'." Ihr machtet euch gerade daran, zu gehen, schließlich war für euch hier nicht mehr zu tun. Doch damit schient ihr die Aufmerksamkeit des Alten wieder auf euch gelenkt zu haben. "Warded ma' kurs", sprach er euch an. "Ich hab' da was fü' euch." Was auch immer es war, ihr wolltet es eigentlich nicht, denn es wurde immer noch kälter, und eure Laune sank beständig. Der Alte kramte ein kleines Päckchen aus seiner Kleidung hervor - ein Wunder, dass es bei seinem Sturz in die Kisten nicht zerdrückt worden war.
"Da, 's schenk' ich euch." Ein breites Grinsen war auf dem Gesicht des Alten sichtbar, als er euch sein Geschenk überreichte. Desinteressiert blicktet ihr auf das kleine Paket in eurer Hand. "Machd schon auf", feuerte er euch an, und so hattet ihr wohl keine andere Wahl, als das Paket zu öffnen. Zum Vorschein kam eine kleine, durchsichtige Kugel - wohl aus Kristall -, in deren Innerem eine Miniaturversion der Stadt zu sehen war. Ihr musstet zugeben, dass es eine erstaunliche handwerkliche Leistung war, die Stadt derart klein herzustellen. Ebenso erstaunlich allerdings war, dass kleine Flocken, die wie Schnee aussahen, darin eingefangen waren und die künstliche Szenerie mit einem Weiß bedeckten, wie der Winter es gerade mit der Stadt machen wollte. Nach kurzem Schütteln schwirrten die Flocken wild durcheinander, nur um anschließend wieder sanft auf den Boden der Kugel zurückzufallen.
Ein wirklich sonderbares Geschenk, das euch der Alte da gemacht hatte. Ihr wolltet ihm gerade etwas sagen, doch als ihr aufblicktet, bemerktet ihr, dass er wie vom Erdboden verschluckt war. Weder in der Gasse noch davor konntet ihr ihn sehen.
Verwirrt schautet ihr euch an, zucktet dann jedoch mit den Achseln, stecktet die Kugel ein und gingt weiter auf der Suche nach etwas Wärme.

Nach einer Idee von Ysojd.